Miriam M. Mottl ist Frauenärztin und Sexualmedizinerin und gibt Frauen und Paaren auf ihrem Instagram-Kanal und ihrer Website „Herzensdialoge“ wertvolle Tipps rund um Sexualität und Partnerschaft. Seit Kurzem hilft sie online auch Paaren mit Kinderwunsch und hat dafür einen eigenen kostenlosen Guide erstellt.
Im ersten Teil des Interviews haben wir darüber gesprochen, warum so vielen Frauen ihre intimste Region peinlich ist. Zu Teil 1: Sexualmedizinerin Mottl: “Viele Frauen schämen sich für ‘da unten’”
Heute sprechen wir darüber, warum Männer und Frauen in Miriams Praxis kommen, worüber Paare noch immer nicht sprechen und wie jede/r Einzelne die eigene Sexualität erfüllter gestalten kann.
Pipa: Liebe Miriam, was sind die häufigsten Themen, mit denen Paare zu dir in die Praxis als Paar- bzw. Sexualtherapeutin kommen?
Miriam: Untreue, unerfüllte sexuelle Wünsche, also Fetische zum Beispiel. Lustlosigkeit, die aber häufig getarnt ist durch andere Sachen. Asexualität bei Frauen, traumatische Geburten, Kinderwunsch.
Was trauen sich Frauen ihren Männern nicht zu sagen?
Dass sie keine Lust auf ihren Mann haben oder keine Lust auf etwas haben, aber manchmal schon auf andere Sachen. Im Einzelgespräch sagen sie mir das dann.
Was trauen sich Männer nicht zu sagen?
Das ist jetzt sehr stereotypisch aber meiner Erfahrung nach trauen sich oft Männer nicht zu sagen, dass sie gerne von ihrer Frau mehr Aufmerksamkeit wollen und dass sie gerne genauso wahrgenommen werden möchten wie quasi die Frau. Ich habe oft das Gefühl, dass beide sich nicht verletzlich machen möchten.
Sexuelle Aufmerksamkeit oder generelle Aufmerksamkeit?
Beides, vor allem aber generelle Aufmerksamkeit. Dieser Akt des Zugebens, des sich Verletzlichmachens ist sehr schwer.
Was sind denn die Aha-Erlebnisse von Frauen und Männern im Laufe der Sexualtherapie?
Dass es zu 95 % nicht um Sex geht, sondern um Grundbedürfnisse, angenommen werden, gesehen werden. Häufig geht es um Prozesse aus Kindertagen, die sich da abspielen, die gar nichts mit der Partnerschaft zu tun haben.
Das hat man von seinen Eltern vielleicht vorgelebt gekriegt oder aus vorigen Partnerschaften mitgenommen und das darf die jetzige Partnerschaft jetzt ausbaden. Diese Prozesse werden dann ganz oft in einer Paar- oder Sexualtherapie bearbeitet.
Du bietest Onlinekurse rund um die weibliche Lust und auch Kinderwunschkurse an. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Das frage ich mich auch (lacht). Ich habe schon immer mit Ideen gespielt, unterrichte voll gerne und habe auch viel unterrichtet, im Studium und auch später.
Immer wieder habe ich Charity-Vorträge gegen Spenden gehalten, zum Thema weibliche Lust. Also ich war bei Lions, ich war bei den Rotariern, bei den Round Tablern, beim Ladies Circle. Das mache ich immer noch, online und auch vor Ort. Im drei- oder vierstelligen Bereich, so dass es sich auch lohnt.
Und irgendwann dachte ich, warum mache ich keinen Kurs. Das wurde auch ganz oft angefragt: „Hey, wir konnten nicht zu dem Vortrag gehen, hast du nicht nen Kurs.
Ich habe bei einer Challenge für Onlinkurse mitgemacht, dann kam die Corona-Zeit und es saßen sowieso alle vor ihren Laptops.
Und dann dachte ich: Wie geil ist das denn! – 15 Frauen, alle haben Aha-Erlebnisse.
Aber ich dachte, ich kann jetzt nicht jeden Monat einen Kurs machen und habe einen aufgenommen. (Mittlerweile sind es schon mehrere, Anm.) Ich kriege so viel tolles Feedback, dass ich mich frage: Warum hab ich das nicht früher gemacht?
(Anm.: Hier findest du sie >>> Alle Onlinekurse von Miriam Mottl*)
Wo würdest du dir intensivere Forschung oder Fortschritte wünschen – Gynäkologie oder Sexualtherapie?
In der Gynäkologie bei OP-Verfahren, weil ich mich immer frage, wie weit da die Klitoris nicht auch beeinträchtigt wird. Man operiert da teilweise sehr nahe. Da gibt es jetzt noch keine Studien dazu. Ich bin keine Forscherin, aber ich erinnere mich an einen Kongress, bei dem das Thema war, inwieweit also Gyn-OPs vielleicht zu Orgasmusstörungen führen können.
Dann würde ich mir wünschen, dass es mehr Fortschritte in der Forschung gibt, welche Medikamente Auswirkungen haben auf den Orgasmus und die Lustlosigkeit bei Menschen. Wir wissen in der Medizin, dass eine erfüllte Sexualität und eine gesunde Beziehung präventiv wirken. Das heißt, wenn jemand in einer gesettelten glücklich sexuellen Beziehung Krebs kriegt, hat das einen besseren Ausgang als ein Single. Und deswegen finde ich, müssen wir Mediziner*innen in diese Richtung forschen, weil die Sexualität ist die Prävention der Zukunft. Und ich glaube, dass es da noch ganz viel zu forschen gibt.
Sexualtherapeutisch, finde ich, darf man forschen: Was macht das mit einem Paar, wenn ein Kinderwunsch besteht? Wie kann ich diese Paare entlasten?
Das habe ich mir auch etwas zu meinem Thema gemacht, weil ich auch in einer Kinderwunschklinik arbeite und sexualtherapeutisch tätig bin und in die Richtung möchte ich gerne forschen. Wie kann man diesen schweren Prozess sexualtherapeutisch begleiten und auch entlastend für das Paar? Besonders, wenn sie einen unerfüllten Kinderwunsch haben.
Welche außergewöhnlichen Erfahrungen konntest du als Frauenärztin sammeln? Wo sollten Menschen besonders aufpassen, wenn es um Sexualität geht?
Ich habe schon öfter gesehen, im BDSM-Bereich, wenn Spanking praktiziert wird, und das an den Schamlippen, dass da Hämatome entstehen. Das muss man halt für sich ein bisschen lernen, wie man das macht und auch den Körper kennenlernen, da gibt es auch Kurse dafür, wie man richtig spankt.
Dasselbe auch bei Nippeln. Was ich da alles schon gesehen habe, was sich da Leute durchgejagt haben, ich wär halt einfach ein bisschen vorsichtig.
Man merkt ja, wenn der Schmerz da ist, also bitte keine Sexspiele unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Die meisten Unfälle, die ich mitgekriegt habe, waren immer unter dem Einfluss von irgendwelchen Rauschmitteln.
Wenn man Sex hat, also immer besser ohne Rauschmittel, weil man a) schneller kommt und b) viel intensivere Gefühle hat.
Dein Rat an die Männerwelt?
Wir Frauen, bedingt durch die Gesellschaft, stehen vor dem Spiegel und wir finden keine gute Sache, wir sehen nur die negativen Dinge. Also mein Tipp an die Männer: Sagt euren Frauen, oder auch eurem Partner regelmäßig, was ihr schön findet. Sagt euren Frauen, wie schön ihr sie findet da unten.
Wie weiß ich denn als Frau überhaupt, dass mit meinem Sexualleben etwas nicht stimmt oder es anders/besser laufen könnte?
Also wie immer in der Medizin ist es erst pathologisch, wenn du drunter leidest. Wenn du das Gefühl hast, es fehlt dir was, dann darfst du auf die Suche gehen. Hey, aber wenn du voll zufrieden bist, mit deinem Orgasmus, wie er kommt, mit deinem Körper, mit allem – du bist normal. Und nur wenn du drunter leidest, dann ist dieser Leidensdruck pathologisch, den darf man dann angehen.
Aber ich verspreche dir, egal wie du aussiehst, egal wie dein Orgasmus ist, du bist normal, weil jeder Mensch hat seine eigene Normalität. Und damit umzugehen zu lernen, das ist die große Kunst, die große Herausforderung.
Was empfiehlst du Paaren, bei denen ein Teil viel mehr Lust hat als der andere? Kann das auf Dauer gut gehen?
Naja, Lust ist ja relativ. Wir Menschen sind ja generell sehr lustvolle Wesen, das merken wir ja auch an den Konsumgütern, an Alkohol, Zigaretten, das hat ja auch mit Lust zu tun.
Ich glaube, die große Kunst ist, dass man seine Lust abrufen kann. Und die Lust besteht ja aus einem Gaspedal und einem Bremspedal. Und nur, wenn ich weiß, wie empfindlich meine Bremse ist oder mein Gas, kann ich das regulieren lernen. Und bei uns Frauen ist die Bremse einfach sehr empfindlich im Gegensatz zu den Männern und deswegen können sie leichter Lust empfinden. Und ich glaube, dass man da einen guten Zwischenweg finden kann.
In der Sexualmedizin sprechen wir immer über drei Ebenen: Wir haben die Ebene der Partnerschaft, die Beziehungsebene, wir haben die Ebene der Sexualität, die Lustebene, also das, was mich erregt und die Kinderwunschebene. Letztere lasse ich jetzt einmal außen vor. Wir haben also zwei Ebenen, die sich gegenseitig beeinflussen. Das heißt, wenn meine Beziehung glücklich ist und ich mich erfüllt fühle, dann hab ich auch mal Lust auf meinen Partner. Wenn ich dort weniger erfüllt bin, dann habe ich auch weniger Lust auf ihn, weil dann sind vielleicht Kränkungen da oder ich will das dem anderen vielleicht nicht gönnen.
Kurz gefasst, ist es so, dass ich es selten erlebt habe, dass das ein Grund ist, sich zu trennen. Das ist ein Symptom. Wenn du zusammen bist, dann kriegst du deine Lust auch über ganz viele andere Dinge befriedigt. Also über Zeit miteinander, über Essen miteinander, weil Lust alleine ist nicht nur die sexuelle Lust, die man miteinander hat. Wenn ich sage, ich habe Lust auf meinen Partner, dann habe ich Lust, mit ihm Zeit zu verbringen, dann habe ich Lust, mit ihm etwas zu machen. Und dann kann es sein, dass dieses, worauf ich Lust habe, etwas mit ihm zu machen, auch Sex ist. Und ich glaube, das muss man auch differenzieren.
Weil wenn es nur um den Sex alleine geht – hey, dann masturbiert doch.
Wie weiß ich als Frau, worauf ich beim Sex stehe? Und dass ich es nicht nur geil finde, weil es mein Partner geil findet?
Naja im Endeffekt kann man ja rauskriegen, worauf man steht relativ schnell, indem man mal masturbiert und achtet drauf, woran man denkt. Häufig gibt es so zwei, drei Fantasien, die immer wieder auftauchen. Und davon kann man dann ausgehen, dass zumindest das, was sich in diesen Fantasien abspielt, häufig etwas sein könnte, was mir real auch Spaß macht.
Es ist natürlich so, dass nicht alles, was in meiner Fantasie geil ist, und da nenne ich mal einfach Sex am Strand, natürlich auch in der Realität geil ist. Weil Sex am Strand in der Fantasie ist immer irgendwie total schön, man hat die Wellen, das Meeresrauschen, aber wenn man dann Sex am Strand hat, weiß man: es gibt so etwas wie Sand, Wind, Wasser und das könnte dann auch sehr schmerzhaft werden. Sand im Getriebe, Sand überall, Wasser überall, Wind auf einmal, kalt …
Und genau so ist es halt auch mit vielen Fantasien. Einige Fantasien können sehr erregend sein, müssen aber in der Realität nicht schön sein.
Ich sage immer: Geh auf die Forschung. Achte mal drauf: Wo merkst du denn bewusst, dass es vielleicht gerade anfängt zu pochen und zu ziehen, wenn du berührt wirst? Oder sag doch mal deinem Schatz: „Komm, wir massieren uns jetzt einmal gegenseitig 10 Minuten!“ Und danach sagst du, welche Berührungen besonders Spaß gemacht haben. Oder anstatt es zu sagen, vielleicht signalisierst du es mit einem kleinen Stöhner, dann ist es nicht gleich ganz so direkt.
Was können Frauen/Paare tun, wenn ihr Liebesleben eingerostet ist oder wenn sie mit ihrem Sexleben nicht zufrieden sind?
- Mein Tipp Nummer 1: Erzählt euch eure Liebesgeschichte. Wie haben beide von euch die erste Begegnung, das Kennenlernen usw. empfunden? Man verliebt sich kurz ein bisschen neu und lernt den Partner ganz anders kennen. Beide haben diese Zeit nämlich oft ganz unterschiedliche empfunden und erinnern sich an andere Sachen.
- Tipp Nummer 2: Verabredet euch. Eine feste Date Night die Woche.
- Und mein Tipp Nummer 3: Mindesten 5 Sekunden knutschen! Dann kommt die Lust schnell wieder.
Willst du zusammen mit deinem Partner Schwung in euer Liebesleben bringen?
Ist in eurem Bett schon länger Flaute und du wünschst dir das Prickeln vom Anfang zurück?
Hast du vielleicht geheime erotische Wünsche, weißt aber nicht, wie du das deinem Partner oder deiner Partnerin sagen sollst?
Dann solltest du dir unbedingt Miriams Kurs dazu ansehen: Wissen über die weibliche Lust und Tipps für die Partnerschaft*!
Dieser Kurs ist eine Kombination aus Weibliche Lust und Spice up your Sex Life und enthält viele Antworten auf Fragen rund um die weibliche Lust und wie du wieder mehr Spaß im Bett haben kannst!
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