tabuzonen weibliche sexualität

Sexualmedizinerin Mottl: „Viele Frauen schämen sich für ‚da unten'“

Vulva und weibliche Lust

Sie klärt ohne Scheu, dafür aber mit einer großen Portion Empathie und Humor über die Vulva und Klitoris, die weibliche Lust und die ganz großen Tabus auf: Miriam M. Mottl ist Frauenärztin, Sexualmedizinerin und Paartherapeutin.

Auf ihrer Seite Herzensdialoge (auch auf Instagram) zeigt sie, dass jede Frau „normal“ ist und findet: Jeder Mensch hat das Recht auf eine erfüllte Sexualität. Um noch mehr Menschen zu erreichen, bietet sie seit kurzem auch Onlinekurse für Frauen, Männer und Paare* an.

Der spannende und ausführliche erste Teil des Interviews mit Miriam zur weiblichen Anatomie.

Pipa: Gibt es einen großen Mythos oder ein Missverständnis, was die weibliche Lust, die Anatomie oder den Orgasmus der Frau betrifft, mit dem du gerne aufräumen würdest?

Miriam: Puh … also es gibt zwei, die zusammenhängen. Einmal geht es mir darum, über den Mythos der Klitoris aufzuräumen. Also, dass die Klitoris nur so groß ist wie eine kleine Perle. Sie ist in Wirklichkeit nämlich so groß wie ein Penis. Embryologisch ist es so, dass das Geschlecht am Anfang noch nicht festgelegt ist und Klitoris und Penis entwickeln sich später erst aus demselben Organ. Deshalb müssen sie identisch aussehen und genau das tun sie.

Das ist der erste Mythos, das die Klitoris nur einen Zentimeter groß ist – sie ist nämlich genau so groß wie ein gesamter Penis.

Und mit dem zusammenhängend natürlich der ganz große Mythos, mit dem ich die ganze Zeit aufräumen möchte, dass es den vaginalen Orgasmus gibt.

Und da halte ich mich ganz kurz: den einzigen vaginalen Orgasmus den hat ein Mann, wenn er in einer Frau kommt.

Wie wird denn der „vaginale“ Orgasmus dann ausgelöst? Und du hast ja in einem deiner Videos einmal erwähnt, dass sogar Querschnittgelähmte zum Orgasmus kommen können …

Genau, die Klitoris wird von zwei verschiedenen Enervationen versorgt, und deshalb ist es möglich, dass auch Querschnittsgelähmte einen Orgasmus haben können, der ist aber auch klitoral ausgelöst.

Es ist so, dass die Klitoris ein ganzes Nervengeflecht ist, das von unterschiedlichen Stellen versorgt wird. Zum „vaginalen“ Orgasmus führen dann die Klitorisschenkel.

Wer sich genauer informieren möchte, dem empfehle ich das Paper von Jessica Pin (Jessica Pin auf Instagram). 

Wann hast du wissenschaftlich (nicht privat!) herausgefunden, dass es den vaginalen Orgasmus gar nicht gibt?

Ich habe das nicht wissentlich in meiner Ausbildung gelernt, sondern bin im Rahmen der therapeutischen und sexualmedizinischen Ausbildung darauf gestoßen. Das war natürlich ein Teil des Curriculums.

Im Studium will ich jetzt nicht sagen, dass wir es nicht gelernt haben. Aber ich kann es nicht wissentlich sagen, dass es der Fall war. Was aber auch der Tatsache geschuldet ist, dass wir erst seit 30 Jahren wissen, wie die Klitoris aussieht.

Gibt es das Squirting tatsächlich?

 Ja, das gibt es. Und das kommt aus den Skenedrüsen, darauf gehe ich übrigens auch im Kurs noch einmal wissenschaftlich ein. Da gibt es Studien, die untersucht haben, was da rauskommt beim Squirting.

Das sind anscheinend schon so die Reste der Prostatadrüse, die wir Frauen auch haben, und die quasi um die Harnröhre angelegt sind. Es ist von Frau zu Frau unterschiedlich wieviel Restdrüsengewebe übrig geblieben ist, das ist anscheinend evolutionär bedingt und deshalb können dann einige mehr squirten und andere weniger, aber dieses Squirting hat nicht zwangsläufig mit dem Orgasmus per se zu tun. Die meisten Squirtingerfahrungen von Frauen sind entkoppelt vom Orgasmus.

Das geschieht durch die Stimulation des G-Punktes?

Der G-Punkt ist es jetzt nicht unbedingt. Der G-Punkt ist eigentlich der Bereich, wo sich die Klitorisschenkel teilen, aber es ist der Bereich dazwischen. Es gibt aber auch Frauen, die berichten zu squirten durch Analsex oder durch eine klitorale Stimulation.

Es ist also sehr unterschiedlich. Aber es scheint, dass durch dieses Anschwellen, durch dieses Gewebes und der Schwellkörper, es dadurch zu einer besonderen Stimulation kommt und dann kommt es zu einer Entleerung dieser Drüsen, die wahrscheinlich von einer muskulären Kontraktion kommt.

Die Forschung ist sich da auch noch nicht hundertprozentig sicher. Ich denke unsere Enkel/innen werden dann wissen, wie es wirklich funktioniert.

Gibt es einen Unterschied zwischen vaginaler Ejakulation und Squirting?

Das ist dasselbe. Es hat nichts mit dem Feuchtwerden der Vagina zu tun. Die Ausgänge siehst du richtig, wenn du die inneren Schamlippen auseinanderziehst. Dann siehst du die Harnröhre, die sich ein bisschen öffnet und drumherum hast du lauter kleine Drüseneingänge und das sind die Skenedrüsen, die spritzen dann.

Es wird mir von Frauen beschrieben als so ein drückendes, befreiendes Gefühl, was natürlich so ein Loslassen ist. Wie wenn deine Blase ganz voll ist und du rauslässt, aber es gab Tests und da ist ganz, ganz wenig Urin drin. Und das ist nur das Urin, was vorne sowieso drin ist, weil du deine Harnröhre ja nicht so sauber machen kannst.

Mit welchem Problem kommen Frauen zu dir als Frauenärztin, worüber aber nie gesprochen wird? Welche Tabuthemen gibt es?

Wenn Frauen zu mir als Frauenärztin in die Klinik kommen, zum Beispiel in die Notaufnahme, ist eines der Hauptprobleme und Tabuthemen die Selbstakzeptanz. Und zwar hab ich nicht nur einmal gehört von den Frauen in Österreich: „Oh, tut mir leid, ich bin da unten ganz schiach!“ (Anm: österreichisch „hässlich“).

Ich sehe natürlich total viele Frauen und es gibt keine hässlichen Vulven.

Diese Aussage lässt mich immer wieder kurz stocken, dass eine Frau sich beim Frauenarzt entschuldigt, dass sie vielleicht nicht sauber ist, dass sie behaart ist oder dass ihre Schamlippe vielleicht an der einen Ecke vielleicht mehr gekräuselt ist als an der anderen.

Das ist für mich selbst als Frauenärztin noch immer total erschreckend. Das ist wohl eines der größten Tabuthemen, mit dem Frauen als Frauenärztinnen zu uns kommen, es aber nicht ansprechen, dass sie ihr Genital nicht schön finden.

Und das ist mitunter ein Grund, warum ich diese Kurse* mache, dass ich noch einmal explizit auf die Genitalformen eingehe.

Ich bin total geflasht gerade – das ist so ein großes Thema unter Frauen?

Ja. Das ist ein Riesenthema. Deshalb zeige ich im Kurs auch Genitalmodelle, die ich extra dafür bestellt habe. Ich würde sagen, das passiert mir am Tag ein- bis zweimal, dass sich Frauen dafür entschuldigen, wie ihr Genital aussieht.

Woran liegt das und wie reagierst du darauf?

Die Pornographie gibt uns da ein komplett falsches Bild. Sie zeigt uns das Bild von einem jugendlichen Genital, wo die inneren Geschlechtslippen kleiner sein sollen als die äußeren und bei einer geschlechtsreifen Frau sind die inneren Geschlechtslippen natürlich größer als die äußeren.

Ich sage den Frauen, dass das nicht stimmt. Ich nehme den Spiegel, ich erkläre ihnen das anhand von anderen Vulven, mache da sofort Aufklärungsarbeit.

Diesbezüglich gibt es ja auch Operationen, sind diese gefährlich?

Jein. Es kommt darauf an, ob es gut gemacht ist. Wenn die Geschlechtslippen sehr lang sind, kann es für Frauen auch beim Sitzen oder in engen Hosen unangenehm sein, weil sie Reibungsprobleme haben. Dann kann es sinnvoll sein.

Es ist aber so, dass direkt beim Eingang der Labien, also der Geschlechtslippen, befinden sich die Drüsen. Und wenn da zu tief geschnitten wird, werden die Drüsenausgänge mit entfernt und dann hat man ein Riesenproblem. Und die Vulva hat ja auch den Sinn, dass sie unsere Vagina schützt.

 
 
 
 
 
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Alles ist normal: Miriam spricht auf Instagram-Kanal „Herzensdialoge“ über die Anatomie der Frau, weibliche Lust, Kinderwunsch und Co.

Weil du den Schutz ansprichst: Ist es sinnvoll, sich vor dem Sex oder Petting die Hände zu desinfizieren, da ja zum Beispiel Finger in die Vagina eingeführt werden?

Ich empfehle generell, dass man sich die Hände wäscht, das ist natürlich eine Keimreduktion. Unser ganzer Körper ist übersät mit Bakterien und Viren.

Unsere Vagina ist selbstreinigend, das heißt, von oben kommt immer wieder Feuchtigkeit nach, die quasi die Keime ausschwemmt. Aber es ist natürlich schon so, wenn ich zum Beispiel Herpes an der Lippe habe, sollte ich da natürlich nicht rangehen, weil das sehr empfindlich ist.

Es ist zyklusabhängig, wie permeable (durchlässig, Anm.) das dann ist – z. B. während der Periode ist der Muttermund leicht geöffnet, weil ja das Blut abfließen muss, da hat man ein erhöhtes Risiko, sich Keime einzufangen als Frau.

Wohingegen nach der Periode und kurz vorm Eisprung, wenn sich der Schleimpropf noch vergrößert, der Keimzugang natürlich etwas schlechter ist. Da hat sich die Natur schon etwas überlegt, aber natürlich nicht was ist, wenn ich mit zehn Männern an einem Tag schlafe.

Du meintest, Frauen machen sich Sorgen darüber, dass sie „dreckig“ sind – wie wäscht sich Frau richtig und mit welchen Mitteln?

Generell sagt man, mit Wasser. In der Scheide selber gar nicht. Die Scheide ist alles das, was nach den Geschlechtslippen kommt, also alles was „drinnen“ ist. Die Schleimhaut, die muss man gar nicht waschen, die reinigt sich selbst.

Was man natürlich außen waschen darf und auch mit Seife, sind die Geschlechtslippen, das ist wie Haut. Man kann das am besten so machen, indem man mal einen Spiegel nimmt und kuckt, wo sind denn die Geschlechtslippen und wo fängt die Schleimhaut an.

Meinen Mund würde ich ja auch nicht mit Seife spülen aber mein Gesicht wasche ich trotzdem mit Seife – und ich glaube, so kann man sich das gut vorstellen.

Eine Scheidenspülung brauche ich nicht. Das machen viele Frauen, die duschen sich da auch aus und das ist ganz schlecht.

Was ist das häufigste „Problem“ mit dem Frauen zu dir kommen, was aber gar kein Problem, sondern ganz normal ist?

Abgesehen natürlich von der Selbstakzeptanz, über die wir gesprochen haben, kommen auch viele Frauen, die erzählen, dass sie gar keine Lust haben.

Viele Frauen, die in meine Praxis als Sexualtherapeutin kommen erzählen, dass sie das Gefühl haben, sie hätten keine Lust auf Sex mit ihrem Partner und häufig ist das gar nicht der Fall, dass die keine Lust auf ihren Partner haben, sondern dass sie nicht genügend Zeit lassen, dass Lust entsteht. Es gibt fast keine lustlosen Frauen, wie es in unserem Allgemeinbild ist. Sie haben oft auch einfach nicht Lust auf die Art von Sex, den sie in einer Beziehung haben. Aber sie haben Lust!

Und diese Brücke zu schlagen, zwischen Sex, den sie sich eigentlich wünschen und dem, was sie kriegen, ist dann die Kunst. Wenn das dann aufgelöst ist, ist das kein Problem mehr.

Gibt es Themen, von denen du selbst noch nichts wusstest, bevor du als Sexualtherapeutin oder Frauenärztin gearbeitet hast?

Mir war überhaupt nicht klar, wie groß das Thema Sexualität ist und was eine Geburt mit einer Frau macht. Wie sich der Körper da verändert, wie sich die Partnerschaft verändert, was der Kinderwunsch mit einem Paar macht, mit einer Frau macht. Wie viele Veränderungen es wirklich in der Menopause gibt und wie unterschiedlich weibliche Genitalien aussehen können.

Mir war diese Vielfalt an Frauen überhaupt  nicht klar. Da hat sich natürlich für mich viel verändert und da habe ich noch einmal ganz andere Einblicke bekommen. Also einfach die Vielfältigkeit von Frauen und weiblicher Lust.

Das heißt, dass es dann wahrscheinlich auch im Lehrbuch ziemlich stereotypisch vor sich geht, oder?

Ja genau. Das ist auch glaube ich, genau das, was sich gerade ändert, mit Non-Binarität, das ist jetzt nicht mein Schwerpunkt aber da tut sich gerade ganz viel und ich glaube, dass sich da die Lehrbücher auch nochmal ändern werden.

Was wird sogar unter Frauenärztinnen und -ärzten viel zu wenig thematisiert?

Die Lustlosigkeit, diese Vielfalt an weiblichen Genitalien und dieses „Es ist normal, dass die Normalität größer ist als Heterosexualität“.

Ich würde mir wünschen, dass jede Frauenärztin/jeder Frauenarzt jeder Patientin das Gefühl vermittelt, dass sie normal ist, egal, worauf sie steht, was sie tut, ob sie die Pille haben möchte oder eben nicht, ob sie spontan entbunden hat oder per Kaiserschnitt … Dass die Frauen einfach ohne Wertung empfangen werden.

Das ist ja dann auch gleichzeitig mehr Selbstbestimmung der Frau, denn sie ist ja auch Profi für ihren eigenen Körper, oder?

Ja genau, und es sollte auch nicht unbewusst gewertet werden, z. B.: Ja, schade, dass es jetzt ein Kaiserschnitt ist. Das fällt mir auch oft auf. Oder zum Beispiel, wenn eine Frau  mit Endometriose operiert wird, dann heißt es: Die Frau kriegt eine Endometriosesanierung.

Hey, das ist doch kein TÜV, sie ist ja kein Auto oder Haus, was saniert werden muss. Also diese Begrifflichkeiten, das würde ich mir wünschen, dass wir Frauenärzt*innen, über die Begriffe, die wir nutzen, Gedanken machen. Und ich glaube, dass da jetzt eine ganz neue Welle kommt und das habe ich mir auch ein bisschen zur Aufgabe gemacht.

Ich erlebe dich in den sozialen Medien ja schon seit Jahren als sehr offene coole Frauenärztin. Glaubst du, dass sich Frauen bei dir mehr trauen, Themen anzusprechen als bei anderen?

Das glaube ich nicht. Ich glaube nur, dass sie bei mir mehr Gelegenheit haben, darüber zu reden. Ich glaube, sie würden sich das bei allen trauen würden, wenn sie diese 30 Sekunden mehr kriegen, darüber zu reden.

Manchmal brauchen die Patientinnen nicht mehr, als dass wir zuhören und sie spüren und wahrnehmen und da zitiere ich gerne den Professor Loewit, einen meiner Mentoren der sexualmedizinischen Ausbildung, der sagte: „Die Ärzte dürfen öfter mal die Watte aus den Ohren in den Mund tun und zuhören“.

Dein Rat an die Frauenwelt? 

Nimm dir einen Spiegel und schau dich da unten an. Und kuck: Was hast du da? Wo ist meine Klitoris? Wie groß ist die Klitoris? Wie sehen meine Geschlechtslippen aus?

Und jetzt kommt der Burner: Jetzt mach‘ das mal nach der Masturbation. Damit du mal siehst, was da passiert, weil hey … Das sind zwei ganz unterschiedliche Sachen. Weil auf einmal hast du da Farben, Lippenstifte quasi auf deinen Geschlechtslippen, das sieht ganz anders aus, schau dir das an. Und wenn du dir unsicher bist, dann buch den Kurs*, weil da habe ich ja auch Bilder dazu.

Liebe Miriam, herzlichen Dank für das tolle Interview! Hier geht es zum zweiten Teil: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine erfüllte Sexualität„.

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