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Die Orgasmus-Lüge: wie Frauen wirklich kommen

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Warum Frauen vaginal nicht kommen und was sie sicher zum Orgasmus bringt.

Interview mit Barbara Balldini

Achtung: Es handelt sich bei diesem Artikel um ein Interview mit Sexualpädagogin und Kabarettistin Barbara Balldini, die Antworten geben nicht automatisch meine (Pipas) persönliche Meinung wieder.

Pipa: Ich habe vor kurzem gelesen, Frauen seien für ihren Orgasmus selbst verantwortlich. Was sagst du dazu?

Barbara: Ja, das stimmt hundertprozentig. Mein Sohn kam einmal und sagte: „Mami, meine Freundin kriegt keinen Orgasmus“. Darauf habe ich gesagt: „Selber schuld!“ Er hat das damals mit 19 nicht verstanden.

Kannst du das erklären?

Wir Frauen ticken ja wirklich nicht einfach und das mit dem Orgasmus ist eine ganz spezielle Geschichte. Das schaffen wir alleine wunderbar innerhalb von drei Minuten. Oder noch schneller, weil wir uns ja kennen.

Aber Männer wissen das nicht! Und sie glauben ja immer alle, dass wir durch den Akt einen Orgasmus kriegen. Und das erzähle ich ja schon im allerersten Programm und das ist ja die wichtigste Botschaft ever, dass wir Frauen beim Rammeln ja sowieso keinen Orgasmus kriegen!

Woher kommt dann dieser Mythos?

Weil schon der gute Siegmund Freud gesagt hat, der vaginale ist ein reifer Orgasmus und der klitorale ist ein infantiler Orgasmus.

Und da denk ich mir: Hallo Freud, die Frauen die du da betreut hast, haben dich wahrscheinlich auch nach Strich und Faden angelogen!

Den vaginalen Orgasmus gibt es also gar nicht?

Also den vaginalen Orgasmus halte ich nach wie vor für einen Mythos.

Wobei man schon sagen kann, dass es mit gleichzeitiger Penetration und klitoraler Stimulation funktionieren kann. Da kann es zu einem ganz anderen, erfüllteren Orgasmus kommen, der durch den ganzen Körper strömt. Der ist dann anders als der klitorale.

Das heißt also, dass es in Verbindung mit der Klitoris schon auch einen vaginalen Orgasmus geben kann.

Aber meine persönliche und berufliche Erfahrung haben mir gezeigt: Frauen kommen viel schneller und öfter klitoral.

Aber wie kann es dann sein, dass sich der Mythos so hält?

Weil wir Frauen vorspielen und vortäuschen! Und weil uns nie gesagt wurde, dass eine Frau beim Penetrieren keinen Orgasmus hat. Nicht in der Schule, nicht im Aufklärungsunterricht, nicht die Mama, nicht die Freundinnen – niemand hat uns das gesagt.

Also glauben wir natürlich alle: Mit mir stimmt etwas nicht! Die Frau denkt sich, jetzt hat er doch so einen schönen Penis und jetzt bemüht er sich so und ich komme ums Verrecken nicht!

Und der Mythos hält sich auch deshalb so hartnäckig, weil bis heute weder Ärzte noch Wissenschaft genau wissen, woher die weibliche Lust kommt, wie sie entsteht und sich entwickelt und wie dann tatsächlich der Orgasmus der Frau passiert.

Viele Männer werden bestimmt schockiert sein, wenn sie hören, dass es den vaginalen Höhepunkt gar nicht gibt. Wie kann man ihnen das schonend beibringen?

Naja, man kann ihnen sagen: Wir Frauen kommen ja beim Sex! Aber für Männer ist das Eindringen Sex, der Geschlechtsverkehr. Und wenn die Männer sagen – Ja meine kommt bei der Penetration immer, dann ist das logisch – weil es ihre Frauen vortäuschen!

Für mich ist alles Sex, das fängt ja schon an, wenn mir ein Mann in den Nacken beißt und gleichzeitig meine Brust stimuliert. Ich kann zum Bespiel kommen, wenn er meine Brustwarzen leckt und gleichzeitig mit dem Finger meinen Intimbereich streichelt. Dann komme ich und das ist für mich auch Sex – aber nicht die Penetration.

Und der nächste Mythos: Wir alle glauben, das Ziel der Sexualität ist der Orgasmus. Und wir glauben, der Höhepunkt ist das Ziel! Das ist es sehr wohl für Männer, weil sie ejakulieren. Aber für uns Frauen ist das Ziel nicht unbedingt der Orgasmus. Der ist wunderbar und es ist total schön, wenn wir den kriegen – aber nicht vaginal!

Liebe Barbara, da gibt es ein Klischee: Haben Frauen wirklich weniger Lust auf Sex als Männer?

Barbara: Nein, genau das Gegenteil ist der Fall: Ich glaube sogar, dass Frauen noch viel mehr Sex haben wollen als Männer. Es gibt halt eine männliche und eine weibliche Sexualität und diese sind komplett unterschiedlich.

Und da wir selten das Glück haben, einem begabten Meister zu begegnen, wird uns das schnell verleidet. Männer sind sehr orientiert auf den Geschlechtsverkehr. Und der Geschlechtsverkehr ist ja für uns Frauen nicht das Spannendste.

Nein? Was wollen wir Frauen dann?

Einen Mann, der weiß, wie er uns nimmt, wo Körper und Geruch passen. Wo es Hingabe und Sinnlichkeit und dieses ganz Persönliche gibt. Ein Mann, der sagt: „Ich bin bei dir, ich mach dich glücklich, sag mir, was du brauchst, meine Süße.“

Wenn ein Mann also nicht nur auf die Technik aus ist – schmusen, grabschen, lecken, vögeln, fertig – dann wollen wir Frauen jeden Tag Sex!  Wenn wir uns selbst befriedigen, machen wir das ja auch sehr oft. Wobei das nicht alle Frauen tun.

Weil sie das nicht gelernt haben und weil sie sich nicht so genau auskennen mit ihrem Körper. Viele meiner Klientinnen machen es täglich. Das heißt, dass Frauen natürlich Sex brauchen. Nur eben nicht den Sex, den Männer sich vorstellen.

Wie kann es sein, dass zum Beispiel Single-Frauen mitunter jahrelang keinen Sex haben?

Das Spannende ist, dass man sich daran gewöhnt. Man gewöhnt sich daran, dass man keinen Sex hat und man denkt sich: „Ach ja, ich kann schon damit leben.“ Und man vergisst einfach darauf, wie schön es ist.

Ich kenne Fälle, wo eine Frau nach vier Jahren Abstinenz endlich wieder Sex  mit einem Mann hat. Und die sagt: „Wow, ich habe voll vergessen, wie toll das ist! Es ist wahnsinnig aufregend! Und wie schön man dadurch wird! Wie spritzig und wie man wieder strahlt!“

Das heißt, Frauen verzichten freiwillig auf Sex?

Wir verzichten auf schlechten Sex. Was ich auch gut verstehen kann. Und wir machen nicht den Kompromiss, schlechten Sex zu haben, nur damit wir Sex haben.

Wie wenig oder wie viel Sex ist dann normal?

Das ist eigentlich unwichtig. Ich  sage da: Lieber einmal im Monat Sex, wo es mir die Sicherungen durchfetzt als jeden zweiten Tag, wo der Sex unglaublich langweilig ist und man hofft, dass es bald vorbei geht.

Frauen verzichten also auf schlechten Sex. Und auf guten Sex haben sie immer Lust?

Ich kann dir aus Erfahrung sagen: Wehe wenn sie losgelassen, dann kommt jeder Mann ins Fürchten! Nur wir haben so selten das Glück, jemandem zu begegnen, wo das auch wirklich funktioniert. Das kann man nur im Tantra lernen: dieses Gefühl von Elektrizität, das durch den ganzen Körper fetzt.

Ich hatte eine Tantra-Praxis und ich habe mit Frauen auch körperlich gearbeitet. Die Frauen sind unglaublich sinnlich, lustvoll, erregt, geil und froh. Die Frauen können gar nicht mehr aufhören, wenn sie verstanden haben, wozu ihre Vagina in der Lage ist. Und wenn sie das einmal erleben, dann werden sie auch süchtig.

Wie lautet dein Appell an die Frauenwelt in punkto Sex?

Sagt den Männern, was ihr wollt! Täuscht nicht ständig irgendwelche Sachen vor, die nicht stimmen! Sagt einfach: „Schätzle, es wäre jetzt doch schön, wenn …“

Also wir Frauen müssen den Mund aufmachen und uns nicht nachher bei unseren besten Freundinnen beschweren, dass wir das nicht bekommen haben, was wir wollten.

Die Männer, die wollen uns ja eh glücklich machen, wenn sie nette Kerle sind!

Und welche Sextipps gibt es noch für die Männer?

Fragt die Frauen, was sie sich wünschen! Aber ja, dann müssen es die Frauen auch sagen! Und letztendlich zählt immer: In der Beziehung geht es darum, was wir geben können und nicht was wir nehmen können.

Und dann gibt es noch ein großes Thema, das sind die Pornos. Männer, vor allem junge Männer holen sich die Informationen ausschließlich über Pornos.

Ich sage auf der Bühne immer: Schaut euch diese Pornos ganz genau an, damit ihr wisst, was wir Frauen nicht wollen!

Frauen die wirklich so behandelt werden wollen wie in Pornos, sollen einmal in meine Therapiestunde kommen. Die haben ein massives Problem mit dem Selbstwert.

Klar sind harter Sex und genommen werden auch geil! Aber da muss ich einfach wissen: der Mann kann es auch anders und er ist vorher, nachher und dazwischen trotzdem liebevoll.

Und schließlich die Frage aller Frage: Wie habe ich nie wieder schlechten Sex?

Ach Gott. Davor bist du nicht gefeit, mein Schatz! Dir wird immer wieder schlechter Sex begegnen! Aber wir brauchen uns nicht ständig davor fürchten, was uns alles passieren kann.

Wir müssen damit leben, dass wir manchmal erfolglos sind, Existenzängste haben, die Wohnung verlieren, den Partner verlieren, schlechten Sex haben – das gehört dazu!

Und eines ist sicher: Auch das geht vorbei!

Herzlichen Dank für das Interview, liebe Barbara!


Du hast Lust auf noch mehr Expertinnenwissen?

Schau unbedingt in die Interviewreihe mit Sexualmedizinerin und Gynäkologin Miriam Mottl rein:

Teil 1: Sexualmedizinerin Mottl: „Viele Frauen schämen sich für ‚da unten’“

Teil 2: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine erfüllte Sexualität“ – Interview mit Miriam M. Mottl (Teil 2)


47 Kommentare zu “Die Orgasmus-Lüge: wie Frauen wirklich kommen

  1. Sarina Cant

    Hey Pipa,
    hey alle anderen Leserinnen und Leser,

    ich betreibe seit einigen Jahren intensive Forschung zum vaginalen Orgasmus und ich muss auch widersprechen. Den vaginalen Orgasmus gibt es durchaus.

    Die medizinische Forschung zeigt z. B. ganz klar, dass der vaginale Orgasmen Impulse über andere Nerven versenden, als es die klitoralen Orgasmen tun.

    Aber Du hast schon recht, dass die meisten Frauen eher keine vaginalen Orgasmen haben. In Deutschland und den USA kommen etwa nur 20 % aller Frauen in den Genuss von vaginalen Orgasmen. Das liegt aber eher an dem Irrglauben, dass es keinen vaginalen Orgasmen gebe. Dieser Irrglaube stammt im übrigen aus der Zeit der sexuellen Revolution.

    Liebe Grüße
    Eure Sarina

    Anmerkung: Liebe Sarina, danke für deinen Beitrag, Website und Werbelink habe ich entfernt! Wenn du zu dem Thema ausführlicher Stellung nehmen willst, nimm bitte per Mail Kontakt mit mir auf. Bitte auch den Artikel genau lesen, es handelt es sich um ein INTERVIEW und gibt nicht automatisch meine eigene Meinung wieder. Das Versprechen, dass jede Frau vaginal kommen kann, halte ich persönlich für genau so diskussionswürdig wie die Aussage, dass keine Frau vaginal kommen kann.

  2. Schade, dass viele hier so aggressiv kommentieren. Why, ladies? Freut euch doch einfach, wenn ihr leicht kommen könnt mit eurem Partner! Es geht leider wirklich nicht allen so. Ich bin 42, ich habe ein gutes Körpergefühl, ich habe einen wunderbaren und einfühlsamen Partner… Orgasmen habe ich nicht wenn er in mich eindringt, obwohl ich das super gerne mag. Auf andere Weisen kann ich durchaus kommen. Das Interview bestätigt im wesentlichen, was ich an mir selbst erlebe. Aber schön zu lesen dass es anderen anders geht – was nicht ist kann ja noch werden 😉

    • Hallo Jule, danke für deinen Kommentar! Das finde ich auch sehr schade. Gerade, weil es auch wieder bestätigt, was für ein großes Tabuthema es ist, beim reinen Geschlechtsverkehr nicht zu kommen. Auf meinem anderen Blog habe ich noch einen Artikel zum Thema geschrieben (https://frauen-verstehen.com/orgasmus-der-frau/). Alle Recherchen haben ergeben, dass tatsächlich nur 4-25 % aller Frauen beim reinen GV einen Orgasmus erleben. Wir dürfen also wirklich langsam loslassen. 🙂 Manchmal habe ich das Gefühl, dass Frauen, die ihren vaginalen Orgasmus so vehement verteidigen, tatsächlich irgendwo getriggert werden und nach dem Motto „Also ICH habe einen vaginalen Orgasmus und bin eine richtige Frau (wie aus dem Pornobilderbuch) und es sind die anderen, mit denen etwas nicht stimmt!“ Schade ja, anstatt sich einfach drüber zu freuen. 🙂

  3. Ich komme auch vaginal und das schneller als klitorial. Der vaginale Orgasmus empfinde ich nicht wie der klitoriale, deswegen auch wenn es dasselbe Organ ist, ist es für mich nicht dasselbe.

  4. Ich bin 40 Jahre alt hatte bis jetzt auch keine vaginale orgasmus
    Ich werde weiterhin dran Arbeiten den ich habe ab und zu was in mir drinnen was schönes gespürt aber das dauerte nicht lange weil mein Partner die Stellung gewechselt hatte

  5. AmanitaFormosa

    Die meisten Menschen denken, wenn sie „Klitoris“ schreiben nur an den etwa erbsengroßen „Knubbel“ am Ende der äußeren Schamlippen. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen kleinen Teil der Klitoris, nämlich die Klitoriseichel. Die Klitoris selbst ist ein viel größeres Organ, das um die Harnröhre herum bis zur Vagina reicht. Einen vaginalen Orgasmus gibt es insofern nicht, als dass die Vaginalwand selbst nur über sehr wenige Nerven verfügt (sonst hätte keine Frau mehr als ein Kind) und ihre Stimulation daher nicht zur sexuellen Erregung führen kann. Die Unterscheidung „vaginaler“ oder „klitoraler“ Orgasmus ist also nur eine Frage der Art und Weise der Stimulation der Klitoris. Es ist für Frauen durchaus möglich, allein durch Penetration zum Orgasmus zu kommen. Leider trifft das – aktuellen Studien zu Folge auf lediglich 20-30 Prozent aller sexuell aktiven Frauen zu. Natürlich können Frauen auch ganz ohne jede manuelle Stimulation einen Orgasmus erleben. Nicht nur Männer haben Fantasie!

    Offenbar haben die meisten Kommentatoren nicht begriffen, dass der Artikel nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Abhandlung erfüllen sondern lediglich der Unterhaltung dienen soll (worauf die Autorin mehrfach hingewiesen hat) und das hat er meiner Ansicht nach auf jeden Fall getan.

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